Öffentlich-rechtliches Internet: Gemeinwohlorientierung im digitalen Zeitalter
Viel wird derzeit darüber gesprochen, welche Medien eine Bürgergesellschaft im Digitalzeitalter will und braucht. Der Berliner „Tagesspiegel“ moderiert seit Mitte April 2018 eine Debatte zum Thema, an der nun auch die Vorsitzende des Publikumsrats, Dr. Christine Horz, teilgenommen hat. Im Kern stellt sie die Überlegungen eines Forschungsprojekt vor, an dem ein internationales Konsortium aus KommunikationswissenschaftlerInnen beteiligt ist. Gefordert ist die Neuformulierung der Gemeinwohlorientierung öffentlich-rechtlicher Medien. Denn diese sollen auch im Digitalzeitalter ihren Funktionsauftrag erfüllen. Christine Horz schlägt demnach im Beitrag vor, dass die Sender künftig mit ähnlichen Institutionen wie Museen und Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten sollten. Auch Bürger wären stärker zu beteiligen – ideologischem Missbrauch müsste mit einer bürgerzentrierten Medienbildung vorgebeugt werden. Und die Öffentlich-Rechtlichen sollten europäischer werden. Wie dies funktionieren kann, schildert Johannes Hilje in einem weiter Beitrag im Tagesspiegel.
Insgesamt ist es zu begrüßen, wenn Medien die öffentliche Debatte um die öffentlich-rechtlichen Medien selbst zum Thema machen. Denn das ist, was die Gesellschaft beschäftigen sollte – welche Medien wollen und brauchen wir – jenseits von Kommerzialisierung, Fake News und Hass!
#WDR: Medienprofessor prangert Missachtung des Arbeitnehmerschutzes an
Der Bonner Medienprofessor Hektor Haarkötter kritisiert die Arbeitsbedingungen im WDR in einem Beitrag des Portals meedia scharf. Freie JournalistInnen würden mehr arbeiten, hätten aber so gut wie keine Aufstiegs- und Mitspracherechte im Sender. Die Besetzung der „Freien“ würde zudem auf einem System der Willkür beruhen. Haarkötter bezieht sich auch auf den Bericht von Monika Wulf-Mathies, die die sexuellen Übergriffe im WDR untersucht hatte. Haarkötter, der früher selbst als Journalist im WDR gearbeitet hat, wundert sich darüber, dass Wulf-Mathies diese „ganovenhaften“ Arbeitsbedingungen nicht bemerkt. Haarkötter fordert den WDR auf, das System der Scheinselbstständigkeit der freien Mitarbeiter zu beenden. Zudem fordert er die KEF die Rundfunkbeitragshöhe für Öffentlich-Rechtliche nicht weiter zu verringern, da unter dem Finanzdruck gerade die Freien zu leiden hätten.
Dänemark schafft Hälfte aller öffentlich-rechtlichen Sender ab
In Dänemark kann man derzeit studieren, was passiert wenn die Rundfunkbeiträge gestrichen werden, wie auch hierzulande vielfach gefordert. Im Frühjahr dieses Jahres wurden die Beiträge abgeschafft. Stattdessen wurde auf ein steuerfinanziertes Modell umgestellt, das sich nach der Höhe der Einkommen richtet. Das klingt auf den ersten Blick sozialverträglicher als ein Beitragsmodell. Doch nun werden die Hälfte der öffentlich-rechtlichen TV-Sender geschlossen, von acht Radiostationen bleiben fünf übrig, hunderte JournalistInnen werden arbeitslos.
Die Handschrift der rechtsextremen Danske Folkeparti (Dänische Volkspartei), mit deren Duldung das liberalkonservative Regierungsbündnis besteht, ist deutlich erkennbar. So sollen sage und schreibe 48% der Musik im Radio dänischen Ursprungs sein. Mit den neuen Programmrichtlinien, die mit der DF ausgehandelt wurden, soll das Programm auch „christlicher“ werden. Bis is zu 400 Stellen werden nun gestrichen, so dass fraglich ist wie qualitativ hochwertige Berichterstattung aufrecht erhalten werden kann.
Dänemark zeigt: eine Steuerfinanzierung hölt die öffentlich-rechtliche und gemeinwohlorientierte Idee aus und trägt dazu bei, die Sender zu ruinieren und das freie Wort abzuschaffen.
#Zapp: #MeTwo-Debatte: Vielfalt im Journalismus selten – Rassismus verbreitet
Das NDR-Medienmagazin ZAPP widmet sich einem wichtigen Thema – endlich, möchte man sagen. Denn Rassismus ist leider ein weit verbreitetes Problem in der Mitte der Gesellschaft. Laut „Mitte-Studien“ haben etwa 20-25% der Bevölkerung ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild. Wenig wurde bislang über die Opfer von Alltagsrassismus gesprochen. Nun bündelt der Twitter Hastag #MeTwo Erfahrungen der Betroffenen.
ZAPP sendet anlässlich der Debatte eine Reihe von Beiträgen und Interviews zum Thema – und tatsächlich recht selbstreflektiert, denn auch in der ZAPP-Redaktion mangelt es an vielfältigen Perspektiven. Damit steht sie nicht alleine da, denn durchschnittlich arbeiten in Deutschland 3-5% Journalist*innen mit einer Migrationsgeschichte – obwohl 21% der Bevölkerung eine solche zugeschrieben wird. Der Mittelschicht-Habitus der professionellen Bildungselite, der auch die meisten Journalist*Innen angehören, wurde bisher noch zu wenig bedacht. Er führt dazu, dass in Nachrichtenredaktionen mit den immer gleichen Perspektiven auf Themen wie Migration oder Regionen wie den Nahen Osten geschaut wird.
Seit Jahrzehnten weisen Medien- und Kommunikationswissenschaftler auf diese Defizite hin – es wäre gut, wenn nun endlich eine ehrliche und selbstkritische Debatte angestoßen wäre. Das Thema Hate-Speech, institutioneller und Alltagsrassismus gegenüber Journalist*innen gehört zu dieser Debatte.
#ARD und #ZDF: Programmprioritäten und -kosten
Laut 21. KEF Bericht 2018 sanken die Erstsendungen in der Prime-Time (19:00-23.00 Uhr) bei der ARD und ZDF in den vergangenen Jahren. Die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs“, KEF, für ARD und ZDF ist eine unabhängige Kommission, die in regelmäßigen Abständen den Mittelbedarf der Sender und die Höhe der Rundfunkbeiträge prüft.
Zwischen 2007 und 2018 verringerten sich die Erstsendungen im Ersten (ARD) von 87,6% auf 83, 4%. Beim ZDF von 85,6% auf 84,7%.
„Das Erste Programm zeigt hinsichtlich der Erstsendeminuten eine deutliche Vorrangstellung für das Ressort „Politik und Gesellschaft“.“ Mit deutlichem Abstand folgen die Ressorts „Familie“, „Sport“, „Unterhaltung“ und „Spielfilm“ (s. Abb. 4)…. Der finanziell bedeutendste Programmbereich ist im Ersten Programm „Sport“ mit 443,8 Mio. €. … Die höchsten Selbstkosten pro Erstsendeminute verzeichnet beim Ersten Programm das Ressort „Fernsehspiel“, gefolgt von „Spielfilm“, „Sport“, „Musik“, „Unterhaltung“ und „Kultur und Wissenschaft“.“, so der KEF-Bericht (S. 52).
Was bedeutet das? Zunächst kann festgestellt werden, dass die Verringerung der Erstsendungen wohl mit der Erhöhung der Wiederholungen einhergeht, denn gesendet wird im Vollprogramm also durchgängig. Die Tendenz zu weniger Erstsendungen hat sich bei der ARD deutlicher gezeigt als beim ZDF, das allerdings auf einem grundsätzlich niedrigeren Niveau rangiert. Zweitens ist der Anteil an Erstsendungen dennoch recht hoch. Drittens überraschen die Programmprioritäten „Politik und Gesellschaft“. Diese sind diese recht teuer zu produzieren (300 Mio € pro Sendeminute) und die Anzahl der Erstsendeminuten ist mit 120.000 mit die höchste. Die ARD investiert die Rundfunkbeiträge deutlich in Politik und Gesellschaft, auch Sport. Unerwartet dürften die großen Investitionskosten in qualitätvolle Filme wie in der Reihe Fernsehspiel sein. Hier liegt die Zahl der Erstendeminuten bei 10-30.000 bei etwa gleichen Kosten (Stand 2016).
Ähnlich das ZDF. Auch hier genießt der Programmbereich „Politik“ die höchste Priorität. Der finanziell bedeutendste Programmbereich ist auch hier „Sport“ (385,8 Mio), gefolgt von “ „Fernsehfilm/Serie I (Krimis u.a.) und II (Melodramen u.a.)“. Es folgen „Politik“ und „Aktuelles“. Die höchsten Selbstkosten pro Erstsendeminute wendet das ZDF für das Ressort „Fernsehfilm/Serie II“ auf, gefolgt von „Fernsehfilm/Serie I“ und „Sport“.“
Fazit: Aus dem KEF-Bericht geht hervor, das Wiederholungen leicht zunehmen, und dass in Sport aber auch in Spielfilme und Politik und Gesellschaft viel investiert wird, wobei letzere aus Selbstkosten, u.a. Rundfunkbeiträgen, finanziert werden.
Rundfunkbeitrag: Entlastung für Zweitwohnungsnutzer
Das Bundesverfassungsgericht hat den Klägern teilweise Recht gegeben. Nutzer einer Zweitwohnung müssen nur noch einmal zahlen. Damit werden viele Berufspendler entlastet, die in einem Ort wohnen und im zweiten eine weitere Wohnung aus beruflichen Zwecken unterhalten müssen.
Über eine solidarische Entlastung für Haushalte mit geringem Einkommen, etwa in Form prozentualer Beiträge oder der Möglichkeit, sich befreien zu lassen, hat das Gericht hingegen nicht entschieden.
Es begründet seine Entscheidung, dass der Beitrag, wie alle Beiträge, dafür gezahlt wird, dass ein Nutzer die öffentlich-rechtlichen Medien nutzen kann. Damit handelt es sich um einen Solidarbeitrag und nicht um eine Steuer, wie einige Kläger behaupteten – ähnlich der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch hier zahlen Gesunde grundsätzlich solidarisch für Kranke mit. Gesunden stehen die Dienstleistungen ebenfalls im Krankheitsfalle zur Verfügung. Sie müssen sie also nicht, sondern können sie im Bedarfsfall nutzen. Diese Vorstellung geht aus dem Funktionsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen hervor, denn sie sollen ja die Grundversorgung der Bevölkerung mit Information, Kultur, Unterhaltung und Bildung sicherstellen.
Letzte Umfragen der Gesellschaft für Kosnumforschung von 2018 bestätigen, dass beispielsweise der ARD-Medienverbund über alle Ausspielwege 94% der Bevölkerung in Deutschland erreicht. Laut statistischem Jahrbuch 2016 (S. 172) verfügen 97% der Haushalte über ein Fernsehgerät. Die vielbeschworene Formel „Ich nutze das gar nicht“ scheint also so nicht zu stimmen.
Obwohl die Öffentlich-Rechtlichen für Medienpluralismus stehen und offenbar fast flächendeckend genutzt werden, wäre es doch sinnvoll einen Beitrag zu haben, der sich stärker an den Einkommen orientiert. Es wäre solidarischer.
Direktorin des Grimme-Instituts stellt Prozess der Medienregulierung in Frage
Die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, fordert in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel, dass das Publikum an Medienpolitik und -regulierung beteiligt sein sollte. Sie hinterfragt zuvor kritisch, warum nur einflussreiche Akteure wie Politiker*innen und Vertreter*innen öffentlich-rechtlicher und kommerzieller Medien über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen und der Medienlandschaft insgesamt bestimmen können. Gespräche und Anhörungen fänden weit vor den politischen Abstimmungsprozessen statt und böten Möglichkeiten der breiteren Debatte und Beteiligung.
„Der gegenwärtig so notwendige gesellschaftliche Diskurs über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Digitalen, seine gesellschaftliche Funktion im demokratischen Meinungsbildungsprozess, wird öffentlich kaum geführt. Vielmehr reduziert sich die öffentliche Debatte sehr verkürzt auf die Frage der Höhe des Rundfunkbeitrages.“ […] Damit sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit einer starken Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter entwickeln kann, bedarf es einer inhaltlichen Debatte, bei der es um die gesellschaftliche Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehen muss. Diese ist längst überfällig.
[…] Dies bedeutet, dass nicht nur privilegierte Akteure an den Willensbildungsprozessen beteiligt werden. Auch reichen Expertenkommissionen nicht aus. Sie können bestenfalls den Weg bereiten, indem sie beispielsweise Konsultationsvorschläge erarbeiten.“
Telemedienauftrag: was dürfen ARD und ZDF im Netz?
Am 14. Juni einigten sich die Ministerpräsidenten der Länder auf einen Kompromiss und stellten Kernpunkte des neuen Telemediengesetzes vor, das Möglichkeiten und Grenzen der Öffentlich-Rechtlichen im Internet festlegt.
Kernpunkt der jahrelangen Auseinandersetzung war die Kritik der Verleger an der „Presseähnlichkeit“ der Internetangebote von ARD und ZDF. Ihre Textlastigkeit sei eine Konkurrenz für die Zeitungsverlage und würde ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen. Schließlich seien ARD und ZDF aus Rundfunkbeiträgen finanziert, so dass deren Angebote wettbewerbsverzerrend wirkten, so die Argumentation der Verleger.
Die Einigung von letzer Woche zielt im Kern darauf ab, dass die Öffentlich-Rechtlichen weniger textbasiert im Netz auftreten, dass die Löschfrist ihrer Inhalte von 7 Tagen entfällt und dass eine Schiedsstelle, bestehend aus Verleger- und SendervertreterInnen in strittigen Fragen vermitteln soll. Alle Seiten zeigten sich zunächst mit dem Kompromiss zufrieden – doch wie bewerten Medienexperten den neuen Telemedienauftrag der Sender?
Heiko Hilker, Mitglied des MDR Rundfunkrats, sieht die Einigung kritisch, weil der Einfluss des Verlegerverbands BDVZ, in Person seines Vorstands Mathias Döpfner, deutlich erkennbar sei. Er verkündete das Ergebnis und wird gemeinsam mit den Sendern die Schiedstelle bestücken – allerdings sind rein rechtlich die Gremien der Sender dafür verantwortlich, über die Erfüllung des Funktionsauftrags zu wachen.
So sieht es auch die Medienfachpolitikerin Tabea Rößner (GRÜNE). Die Einigung sei verfassungswidrig und ein Verlust für die Bürgerinnen und Bürger.
„Das Festhalten am Verbot der Presseähnlichkeit manifestiert ein veraltetes Denkkonstrukt, das angesichts der heutigen und vor allem zukünftigen Realitäten einer konvergenten Mediennutzung keinerlei Gültigkeit mehr beanspruchen kann und daher endlich hätte abgelöst werden müssen. Dagegen greift man mit den nunmehr positiven Vorgaben, wie die Angebote inhaltlich und formal zu gestalten sind (nämlich Bewegtbild oder Ton), sogar noch in den Kern der Programmautonomie der Sender ein, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zentraler Bestandteil der Rundfunkfreiheit ist. Damit stellt sich die Frage, inwieweit diese Regelung verfassungsgemäß ist. Bedenklich ist auch die Einführung einer „Schlichtungsstelle“, die mit Vertreterinnen und Vertretern der Rundfunkanstalten sowie der Presse besetzt sein soll. Es ist geradezu absurd, dass in Zukunft Pressevertreter über die konkrete Umsetzung des öffentlich-rechtlichen Auftrags mitentscheiden dürfen.“
Leonhard Dobusch, Mitglied des ZDF Fernsehrats und Professor für Digitale Medien, benennt 8 Gründe für öffentlich-rechtliche Texte im Netz, u.a. Auffindbarkeit. Denn Suchmaschinen arbeiten textbasiert. Außerdem sei Journalismus aufgrund der Medienkonvergenz immer cross-medial. Er betrachtet das neue Gesetz als Kapitulation der Politik vor der Verlegerlobby.
Dem können wir nur beipflichten. Es wird immer deutlicher, dass die Politiker keine Innovation der Öffentlich-Rechtlichen befürworten, sondern für diese offenbar das langsame Sterben vorbereiten. Angesichts Fake News und Hetze im Netz wäre es ein Verlust für die Demokratie und letztlich uns alle. Rößner schlägt eine „Expertenkommission aus Medienrechtlern, Soziologen und Medienwissenschaftlern“ vor. „Mit einem Blick von außen könnte diese Expertenkommission endlich stellvertretend die Diskussion führen, die verhakte Situation zwischen Ländern und Sendeanstalten auflösen und jenseits deren Standort- oder Eigeninteressen Vorschläge für eine wirklich zukunftsgerichtete Reform erarbeiten.“ Eine sinnvolle Idee, die beispielsweise in Österreich und der Schweiz schon erfolgreich erprobt wird.
ARD: Hart-aber-fair und die Macht der Sprache
Die letzte Hart-aber-fair Sendung vom 4.6.2018 mit dem Titel: Flüchtlinge und Kriminalität bedient sich deshalb rechtspopulistischer Ressentiments, weil sie den Sprachduktus der Rechten aufgreift. Die Kombination aus Flüchtlingen und Kriminalität suggeriert einen unmittelbaren Zusammenhang, der sich bei näherer Betrachtung relativiert. Er greift außerdem einen Negativaspekt heraus. Nach der Framing-Theorie wird dadurch die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Kriminalität gelenkt. Alles andere verblasst dahinter, nämlich dass die Mehrheit der Flüchtlinge unaffällig ist, dass tausende von Deutschen und Flüchtlinge Freunde geworden sind, durch das große Engagement der HelferInnen – und dass es in den letzten Jahren tausende rechtsmotivierte Angriffe auf Flüchtlinge gab. Die Macht der Sprache ist dabei nicht zu unterschätzen, denn wenn Flüchtlinge und Kriminalität als Frame verankert sind, gelangen alle weiteren Relativierungen oder Differenzierungen nicht mehr ins Gehirn.
Mit dem Thema Rechtsterrorismus halten sich deutsche Talksshows auffallend zurück, wie der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow in einer Untersuchung herausfand. Sie offenbart ein unglaubliches Missverhältnis – in jeder 4. Sendung ging es um Flüchtlinge. Stellt man sie in den Kontext von (Islamistischem) Terror war es gar jede 2. Sendung. Dem Rechstterror widmete sich im Untersuchungszeitraum Oktober 2015-März 2017 (204 Sendungen) eine einzige Sendung. Damit bestätigt seine nichtwissenschaftliche Studie die vorliegenden kommunikationswissenschaftlichen Analysen. MigrantInnen wurden und werden meist negativ konnotiert.
Für Hart-aber-fair ist das offenbar kein Problem, wie der folgende Re-Tweet belegt. Die Ignoranz der JournalistInnen in der Redaktion ist erschreckend – sie glauben immer noch, dass es eine beobachterunabhängige Realität gibt und sie eine (objektive) Realität abbilden – sie müssen Gott sein. Empfehlenswert auch das Interview mit Johannes Hillje in der SZ. MediennutzerInnen können daran ihre Frame-Kompetenz schulen.
Denkwürdige Ignoranz bei @hartaberfair gegenüber der Macht von Sprache. Das Missverständnis: Das Publikum "framed" das Gehörte/Gelesene ganz automatisch, um zu verstehen. Die aktivierten Frames führen zur Meinungsbildung, weniger die Fakten selbst. Siehe: https://t.co/8GZfGaqJD5 pic.twitter.com/2bh8z4kbt0
— Johannes Hillje (@JHillje) June 4, 2018
Öffentlich Debatte über die Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio
Die 10 Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien lieferte einen starken Impuls zur öffentlichhen Debatte wie es mit ARD, ZDF und Deutschlandradio künftig weitergehen soll. Neben zahlreichen Kommentaren direkt im Anschluss melden sich seither immer wieder Expert*innen mit differnzierten Vorschlägen zu Wort, zuletzt am 1. Mai die Direktorin des Grimme Instituts, Frauke Gerlach, in der Süddeutschen Zeitung.
Sie stellt die berechtigte Frage, welchen öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Gesellschaft will. Dass sie ein Interesse an öffentlich-rechtlichen Medien hat, zeigt nicht nur die rege Kommentierung der 10 Thesen. Vielmehr werden die Sender auch nach wie vor als sehr vertrauenswürdig betrachtet – ein hohes Gut in Zeiten von Fake News.
Gerlach stellt zunächst die Ausgangslage dar:
Kritische Nutzerinnen und Nutzer, beitragsmüde Fernsehzuschauer und die Forderung nach der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für die sich die AfD als populistisches Sprachrohr aufstellt, treffen auf eine politische Entscheidungskultur der Rundfunkkommission der Länder, die für eine so komplexe gesellschaftliche Ausgangslage wie derzeit nicht geeignet erscheint. Gleichzeitig geht es bei der aktuellen Arbeit an einer Strukturreform für ARD, ZDF und Deutschlandradio um nicht weniger als die grundsätzliche Frage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk im digitalen Zeitalter aussehen und wie er finanziell ausgestattet werden soll.
Sie sieht eine breite gesellschaftliche Debatte als beste Möglichkeit, die Zukunft der ÖRM im Sinne der Gesellschaft nachhaltig sicherzustellen, weil die derzeitigen Strukturen und Prozesse demokratischen Standards kaum standhalten. Zudem fordert Gerlach diesbezüglich eine Neufassung der Präambel des Rundfunkstaatsvertrages, auch mit Blick auf die Digitalisierung. In der heutigen Fassung orientiert sich die Präambel auf die Perspektive der Anstalten und nicht der Bürger.
Eine Neufassung könnte einen Anstoß zur dringend notwendigen Transparenz und Partizipation an medienpolitischen Entscheidungen liefern:
Es ist von außen kaum nachzuvollziehen, wie die Entscheidungsprozesse verlaufen, wer an Anhörungen der Rundfunkkommission teilnimmt und wer nicht. Intransparent bleibt auch, wer letztlich Stellungnahmen abgeben darf, also am Diskurs überhaupt teilnimmt.
Die Verfahren der Rundfunkkommission der Länder sind zudem, anders als die Gesetzgebungsverfahren in Bundestag und in Länderparlamenten, nur teilweise formal abgesichert. Die Medienpolitik der Länder hat auch kein Entscheidungszentrum und keine entsprechende öffentliche politische Bühne. Sie agiert unter den Bedingungen des Föderalismus und der europäischen Regulierung. Das politische Mehrebenensystem, in dem die Regeln für den Rundfunk entstehen, ist für die Bürgerinnen und Bürger schwer nachvollziehbar und immer wieder erklärungsbedürftig, damit konkrete Entscheidungsprozesse überhaupt verstanden und von einer öffentlichen Diskussion begleitet werden können.
Ein erster kleiner Schritt zu mehr Teilhabe der Öffentlichkeit wäre deshalb die Schaffung einer nachvollziehbaren Informationsplattform mit Diskursmöglichkeiten. Praktische Vorbilder gibt es genug. Eine veröffentlichte Verfahrensordnung wäre wünschenswert. Die Anhörungen der Rundfunkkommission sollten transparent, gesellschaftliche Interessen dort regelmäßig vertreten und Stellungnahmen zugänglich sein. So wären zumindest Standards erfüllt, die bei parlamentarischen Verfahren im Bundestag und in den Länderparlamenten eingehalten werden. Damit könnten Kommunikationsprozesse begonnen und am Ende fester Bestandteil werden. Es geht aber nicht nur um Partizipation, Transparenz und Verfahren.
Eine grundsätzliche gesellschaftliche Debatte könnte mit einer Überarbeitung der Präambel des Rundfunkstaatsvertrages beginnen. Sie wurde seit 1987 nur einmal, im Jahr 1991 nach der Wiedervereinigung, geändert. Rechtlich enthält sie die wesentlichen Programmsätze des Rundfunkstaatsvertrages. Die Präambel atmet gegenwärtig allerdings durch und durch den Geist des analogen Zeitalters. Eine Neufassung dieses Rechtstextes wäre sehr gut geeignet, um eine wirkliche gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter anzustoßen.“
Ein Forscher*innenkonsortium, an dem auch der Vorstand der Publikumsratsinititaive, Dr. Christine Horz, beteiligt ist, lotet derzeit die Möglichkeit eines European Public Open Space (EPOS) aus. Er könnte, neben einer digitalen öffentlich-rechtlichen Plattform einen solchen öffentlichen Debatten- und Informationsraum schaffen, der für die Beteiligung aller konstruktiven Akteure, auch und vor allem der Bürger, offen wäre.
Wer mitdiskutieren möchte – die re:publica in Berlin (2.-4.5.) widmet sich u.a. diesen Fragen:
https://18.re-publica.com/de/session/orr-offenes-gesprach-unter-freunden
und hier:
https://18.re-publica.com/de/session/offentlich-rechtliche-medien-europeana-wikipedia-epos