1,5 Milliarden Euro Überschüsse aus Rundfunkbeiträgen
Die Mehreinnahmen aus den Rundfunkbeiträgen für ARD, ZDF und Deutschlandradio sollen sich laut einem Bericht des Tagesspiegel auf 1,5 Milliarden Euro belaufen. Laut Gesetz dürfen die Sender das Geld nicht für eigene Zwecke verwenden – solange nicht, bis die Medienpolitiker der Bundesländer sowie die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarf der Rundfunkanstalten (KEF) darüber entschieden haben, was mit dem vielen Geld geschehen soll. Die Rundfunkanstalten sind zudem verpflichtet, die Mehreinnahmen gewinnbringend anzulegen, so dass durch die Verzinsung noch ein weit höherer Betrag erwartet werden kann. Zumindest, wenn damit sorgsam umgegangen und keine hochriskanten Anleihen gekauft werden.
Hier drei Vorschläge der Initiative für einen Publikumsrat, wie die überschüssigen Mittel wirklich gewinnbringend und nachhaltig für das Publikum angelegt werden können:
1. Etablierung von gewählten PublikumsvertreterInnen in jedem Bundesland, die den bestehenden Gremien beigeordnet werden.
2. Unabhängige Ombudsleute in jeder öffentlich-rechtlichen Anstalt, die erkennbarer Ansprechpartner sind für Kritik, Lob und Anregungen des Publikums.
3. Zügige Digitalisierung der audio-visuellen Archive, so dass Eigenproduktionen den Finanziers – also dem Publikum – in vollem Umfang und unbegrenzt zugänglich gemacht werden können.
ARD und ZDF: Rundfunkbeiträge fließen in Personalkosten und nicht ins Programm
Kritische Radiohörer und Fernsehzuschauer ahnten es, doch nun ist es offiziell: die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hat in ihrem 19. Bericht errechnet, dass die ARD 94 Millionen Euro und das ZDF sogar 142 Millionen zu wenig ins Programm investiert.
Stattdessen werden die Mittel aus Rundfunkbeiträgen in die Personalkosten investiert. Die Sender müssten außerdem Mehreinnahmen von 1,14 Milliarden Euro an die BeitragszahlerInnen zurückzahlen bzw. eine Rücklage bilden. Wie der Tagesspiegel berichtet will demnächst die Rundfunkkommission der Länder darüber beraten, ob die öffentlich-rechtlichen Anstalten dazu verpflichtet werden können, einen Teil des Betrags in ihre Programme zu investieren.
ZDF-Staatsvertrag: Ministerien legen ersten Entwurf vor
Die Rundfunkkommission legte gestern, am 30.1.2015, den ersten Entwurf eines novellierten ZDF-Staatsvertrags vor. Die Novellierung war nötig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht im März 2014 aufgrund einer Normenkontrollklage urteilte, dass der ZDF-Staatsvertrag – und vor allem die Zusammensetzung der Gremien – in seiner bisherigen Version nicht verfassungskonform ist.
Der Entwurf sieht vor, dass der Fernsehrat zukünftig 60 statt wie bisher 77 Mitglieder haben soll. In der Gruppe der 16 entsendeberechtigten Gruppen sind je ein Vertreter von Muslimen und Jugend genannt. Außerdem sollen Frauen bei der Entsendung „angemessen berücksichtigt“ werden – was immer das heißen mag. Parlamentarier bis hin zu hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten werden nicht mehr im Fernsehrat vertreten sein. Die vom BVerfG geforderte Dynamisierung der Gremien ist aus dem Entwurf allerdings nicht ersichtlich – außer, dass die Landesregierungen die Zusammensetzung der Gremien nach drei Amtsperioden überprüfen müssen. Auch Publikumsvertreter, die beispielsweise in die Gremien gewählt werden, sind in der Novellierung nicht vorgesehen.
Das Dokument kann auf der Homepage des Landes Rheinland-Pfalz heruntergeladen werden.
Bis zum 28. Februar können alle Interessierte mit einer schriftlichen Stellungnahme an der Anhörung teilnehmen. Die Initiative für einen Publikumsrat wird diese Möglichkeit selbstverständlich nutzen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch noch bürgernäher, transparenter und partizipativer zu gestalten.
Abschaffung der Recherchebarrieren in öffentlich-rechtlichen Archiven – JETZT!
Studenten und Wissenschaftler stoßen bei ihren Forschungsprojekten in den öffentlich-rechtlichen Archiven von ARD (NDR, WDR, SR, HR, BR, MDR, RBB, SWR, RB), ZDF und Deutschlandradio vor Ort regelmäßig auf Recherchebarrieren. Erst im April 2014 einigten sich die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Anstalten und das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) erstmals über einen einheitlichen „Zugang zu Archiven für Wissenschaftler……“. Diese Regelung entpuppt sich jedoch zunehmend als „einheitliche Misshandlung der Wissenschaftsfreiheit„.
Es geht um bereits veröffentlichte Materialien, die in den Rundfunkanstalten archiviert sind und die Wissenschaftler nicht oder nur sehr begrenzt zu Forschungszwecken nutzen dürfen. Jede der neun ARD-Anstalten, das ZDF sowie Deutschlandradio sind verpflichtet ihre audio-visuellen Produkte aufzubewahren, verfügen also über audio-visuelle Archive. Sie sind außerdem Abonnenten der Tagespresse (sowohl in Papierform als auch digital).
Wie allgemein bekannt ist, werden die öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie ihre Archive maßgeblich durch Rundfunkbeiträge der BürgerInnen finanziert.
Allerdings sind Studierende und Wissenschaftler seit je her mit Recherchebarrieren konfrontiert, woran die neue Regelung nichts geändert hat. Darin heisst es u.a., dass erst ab Doktorandenlevel recherchiert werden darf. Will ein/e WissenschaftlerIn in den Archiven forschen, so ist zunächst ein Gespräch (mit wem eigentlich?) vorgesehen bei dem u.a. geklärt werden soll, „ob das Thema ausreichend spezifiziert ist, ob geeignetes Archivgut im Archiv der Rundfunkanstalt überhaupt vorliegt, ob die Voraussetzungen für eine Einsichtnahme gegeben sind oder geschaffen werden können und ob genügend Kapazitäten für die Recherche und die weitere Begleitung des Vorgangs vorhanden sind.“
Die Initiative für einen Publikumsrat betrachtet es als grobe Kompetenzüberschreitung, dass Rundfunkanstalten nun darüber befinden, ob ein Thema ausreichend spezifiziert ist. Normalerweise ist das die Aufgabe des/der wissenschaftlichen BetreuerIn des Doktoranden. Ob geeignetes Archivgut vorliegt, kann ein Wissenschaftler/eine Wissenschaftlerin dann entscheiden, wenn er/sie vor Ort vollumfängliche Einsicht in das vorhandene Material genommen hat. Wenn die Archivmitarbeiter den Bestand vorselektieren und eine Gesamtschau nicht möglich ist, kommt das einer Vorzensur gleich. Laut Art. 5 GG, Abs. (3) gilt jedoch die Wissenschaftsfreiheit: „ Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
Die Prüfung der Rundfunkanstalt, „ob die Voraussetzungen für eine Einsichtnahme“ gegeben ist, öffnet der Willkür eines Zuständigen (wer eigentlich genau?) Tür und Tor.
Diese online publizierte Regelung muss umgehend geändert werden. Außerdem sollte sie in gedruckter Form veröffentlicht werden, damit sie von den Anstalten nicht beliebig umgeändert werden kann. Insgesamt nehmen sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten soviele Spielräume heraus, dass sich in der Realität immer ein Grund finden lässt, ein Recherchegesuchen abzulehen. Zudem kann nur „in Ausnahmefällen eine Ansichtskopie erstellt werden.“ Falls tatsächlich einmal einzelne Kopien audio-visuellen Materials zu Forschungszwecken angefertigt werden dürfen, sind diese für Wissenschaftler kostenpflichtig.
Statt einer intransparenten Regelung müssen die öffentlich-rechtlichen Archive für Studierende und Wissenschaftler offen sein. Die Rundfunkanstalten sollten Stipendien für Studierende und Nachwuchs-Wissenschaftler vergeben. Schließlich werden die Archive durch Rundfunkbeiträge der Bürger finanziert – gerade sie müssten also im Sinne der Transparenz die Wissenschaftsfreiheit in besonderem Maße achten.
Deshalb rufen wir alle WissenschaftlerInnen, Studierende und Doktoranden auf, ihre praktischen Erfahrungen bei der Recherche in öffentlich-rechtlichen Archiven mit uns zu teilen, die wir gerne sammeln, auswerten und anonymisiert publizieren möchten.
Schweiz: Referendum zur neuen Rundfunkabgabe
Das neue Schweizer Radio- und Fernsehgesetz RTVG, das am 1. Januar 2016 in Kraft treten soll, sieht eine Änderung der geräteabhängigen Gebühr zu einem haushaltsgebundenen Rundfunkbeitrag nach deutschem Vorbild vor. Nun regt sich Widerstand von seiten der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) sowie dem Gewerbeverband, der 100.000 Unterschriften gegen die geplante Novellierung des RTVG einegreicht hat. Damit ist das Quorum für ein Referendum erreicht und die Schweizer werden wohl im Juni 2015 eine Volkabstimmung über die Haushaltsabgabe abhalten, so der Newsletter der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG Deutschschweiz. Und das obwohl 75% der Gewerbetriebe von der Gebühr befreit und der Jahresbeitrag von 462 Franken auf 400 gekürzt werden soll. Wie ein breites Bündnis aus Befürwortern der Novellierung deutlich macht, sei die Zahl der Empfangsgeräte explodiert, viele Inhalte würden heute von mobilen Plattformen aus genutzt und deshalb sei die Umstellung notwendig. In Deutschland wurde eine Volksabstimmung über die Abschaffung des Beitrags abgelehnt, weil die Kulturhoheit der Länder verletzt würde, so Telepolis in einem Beitrag von heute.
Das die deutschen Regelungen unausgegoren sind, belegen nicht zuletzt die entstandenen Ungerechtigkeiten – so gibt es beispielsweise keine Staffelung je nach Einkommen. Auch die Senkung des Rundfunkbeitrags um 50 Cent aufgrund der Mehreinnahmen von ca. einer Milliarde Euro wirft die Frage auf, ob da vorher überhaupt nachgerechnet wurde. Das breite Bündnis, das sich in der Schweiz für den neuen Beitrag ausspricht, kann vor allem mit dem entscheidenden Unterschied zwischen dem deutschen und dem schweizer System erklärt werden. Denn anders als hierzulande gibt es in der Alpenrepublik breitflächige Mitgestaltungsmöglichkeiten für das Publikum – etwa durch die zahlreichen Publikumsvereine, die als Organe des Rundfunks festgeschrieben sind. So sind alleine in der Deutschschweiz über 15.000 Menschen in diesen Vereinen engagiert und damit an der Gestaltung der SRG beteiligt. Zudem gibt es Ombuspersonen, die als Ansprechpartner für das Publikum agieren. Über allem wacht die UBI, eine unabhängige Beschwerdestelle, die rechtskräftige Urteile zu Medienbeschwerden fällen darf und diese veröffentlicht. Die Bürger bekommen also wesentlich mehr für ihr Geld als in Deutschland.
3sat: Kulturzeit?
Der öffentlich-rechtliche Kooperationskanal 3sat sendet werktäglich im Vorabendprogramm die Kultursendung „Kulturzeit“, die von Zuschauern und Zuschauerinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz empfangen werden kann.
3Sat Kulturzeit von Donnerstag, 22.01.2015 verletzt u.E. gleich an mehreren Stellen die journalistische Sorgfaltspflicht. Eine Richtigstellung erfolgte bislang nicht. Nur drei Beispiele:
Zu Beginn wir der kritische Einwand des Papstes, dass Meinungsfreiheit nicht dazu führen dürfe Gläubige zu verletzen, auf den von Franziskus scherzhaft gemeinten Vergleich, dass er seinem Begleiter einen Faustschlag versetzen würde, wenn der seine Mutter beleidige verkürzt. Sei’s drum – die Sendung brauchte wohl einen „schlagkräftigen“ Aufmacher.
Der Bericht von Alexander Klucinski (ab min 9:00) zu den Reaktionen „im arabischen Raum auf die neuesten Karikaturen von „Charlie Hebdo“ ist allerdings mit groben Patzern in der Bild- und Textkonzeption gespickt. In dem Beitrag wird zu Beginn über zahlreiche Demonstrationen in der muslimischen Welt berichtet. Ab min. 10:20 wird das Außenministerium in Katar zitiert, das den Nachdruck der „Charlie Hebdo“-Zeichnungen in der westlichen Presse verurteilt. Der off-Kommentar ist über eine Kamerafahrt gelegt, die wohl Katar darstellen soll – allerdings handelt es sich tatsächlich um Dubai, wie auch das Konterfei, des auf einem der Häuser abgebildeten Herrschers von Dubai, unterstreicht (10:26 min).
Die Bildredaktion dachte wohl, hauptsache irgendwas mit Sand und Hochhäusern…..Der nächste grobe Fehler folgt direkt im Anschluss, als der ägyptische Großmufti mit den Worten zitiert wird, die Zeichnung (des weinenden Muhammed auf der Titelseite von Charlie Hebdo) sei eine „ungerechtfertigte Provokation der Gefühle von 1,5 Millionen Muslimen auf der Erde…“. Das Zitat wird im Wortlaut auf dem Bildschirm eingeblendet – umso schlimmer, denn es muss natürlich 1,5 Milliarden Muslime heißen.
Von journalistischer Sorgfalt in der Bild- und Textauswahl also keine Rede. Das ist vor allem deshalb schlimm, weil Studien nachgewiesen haben, dass die Deutschen sich schlecht über den Islam informiert fühlen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat jedoch einen Bildungs- und Informationsauftrag zu erfüllen. Hier ist das Gegenteil der Fall.
Doch auch bei dem im Anschluss gesendeten Interview mit Stefan Weidner stellen sich viele Fragen hinsichtlich journalistischer Qualität und Sorgfalt. Es soll um den Blick der islamischen Welt auf die Karikaturen gehen, doch eingeladen wird ein deutscher Journalist und „Islamwissenschaftler“, der nach der Situation in Doha gefagt, wird – der Hauptstadt von Katar – in der er an dem Congress German-Arabic Relations am 14. und 15. Januar 2015 als einer von insgesamt 20 Vortragenden teilgenommen hat.
Die Fragen von Ernst Granditz nach der Stimmung in Katar muten merkwürdig an – Katar ist ein 11 qm großes Emirat mit etwas mehr als 2 Mio. Einwohnern, das zwar durch seinen Gasexport bekannt, aber bislang noch nicht als religiöses Zentrum des Islam aufgefallen ist. Oder meinte der Kulturzeit-Moderator die Tagungsteilnehmer? Warum wurde dann nicht Udo Steinbach zum Interview geladen, der ebenfalls an der Tagung zu deutsch-arabischen Beziehungen teilgenommen hatte und im deutschsprachigen Raum als ausgewiesener Kenner des Nahen Ostens gilt? Oder Dr. Szilvia Lengl aus Berlin, deren Vortragssthema den interkulturellen Dialog behandelt und insofern womöglich näher an den Fragen von Ernst Granditz dran gewesen wäre? Oder Ayman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, der selbst Muslim ist? Als Weidner gefragt wird, „was aus arabischer Sicht religiöse Gefühle sind“ und ob sie durch die Zeichnungen verletzt würden, spricht Weidner den Muslimen ab, dass ihre religiöse Gefühle verletzt seien. Doch welche religiöse Autoriät hat Stefan Weidner? Wie kann er die arabische Sicht einnehmen? Und wie kann er eine derart pauschale, nicht näher begründete Aussage über 1,5 Milliarden Muslime in 56 verschiedenen islamische Staaten machen? Zu guter letzt zitiert Weidner eine Charlie Hebdo-Zeichnung, die Mohammad zeige, der, so Weidner, sagt, es sei hart von Idioten geliebt zu werden. Ob es scherzhaft gemeint ist, als er anfügt, dass die Karikaturen all jene Idioten betreffen, die Mohammad lieben?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, auch 3sat, sendet für die Allgemeinheit, also alle Bürger, auch diejenigen muslimischen Glaubens, die bei konservativ geschätzten 4 Mio Muslimen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Deutschland mit schätzungsweise 1,5 Millionen Haushalten ca. 27 Millionen Euro Rundfunkbeiträge zahlen. Es ist fraglich, ob sich die muslimischen BeitragszahlerInnen und nicht zuletzt weite Teile der Gesellschaft, die für ein friedliches Miteinander einstehen – wie die Anti-Pegida-Demonstrationen der letzten Tage gezeigt haben – in dieser Sendung wiederfinden. Wohl kaum.
ARD und ZDF: Keine Bühne für PEGIDA!
In seinem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 25.1.2015 kritisiert der Soziologe Harald Welzer scharf, dass ausgerechnet das öffenlich-rechtliche Fernsehen der islam- und fremdenfeindlichen Bewegung PEGIDA eine Bühne bieten.
PEGIDA-Gründer als Talkshowgäste können ungehindert ihre Thesen verbreiten. Dadurch würde die Bewegung aufgewertet, obwohl die Zahlen eine eindeutige Sprache sprechen. Denn deutschlandweit gehen wesentlich mehr Menschen gegen PEGIDA auf die Straße als Anhänger der Bewegung. Am Beispiel von Hannover, wo 200 Menschen für, aber 19.000 gegen PEGIDA demonstrierten, macht Welzer deutlich, um was es sich eigentlich handelt: um ein randständiges Phänomen, das eine derartige öffentliche Präsenz nicht verdient.
„Genau deswegen ist es fahrlässig, dem Vorurteil und, schlimmer noch, dem tiefen Ressentiment, eine mediale Bühne zu bauen, wie es gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen macht. In jede Talkshow werden exakt jene eingeladen, die dem Vorurteil der – hauptsächlich Dresdner – Straße öffentliche Präsenz verleihen. Mir ist das unerträglich, weil diese Leute – Gauland, Petry, Oertel – in ihrem Desinteresse an Sachverhalten gerade keine zahlenmäßig relevante Gruppe repräsentieren.“
Statt den Ressentiments in Talkshows ungehindert eine Bühne zu bieten, pladiert die Initiative für einen Publikumsrat dafür, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihrer Verantwortung gerecht werden sollten, etwa indem sie die Hintergründe einordnen, das rechtsextreme Gedankengut von Pegida für die Mehrheitsgesellschaft entschlüsseln oder über die Ängste von Einwanderern und der Pegida-kritischen Bevölkerung berichten.
Auch Harald Welzer mahnt die Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Medien an:
„Verantwortung für Demokratie zeigt sich auch darin, nicht im Spekulieren auf Einschaltquoten und politischen Krawall Menschen ein Millionenpublikum zu eröffnen, die sich bislang besser im Bereich der nicht-öffentlichen Meinung aufgehalten haben. (…) Es zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte aufzuwerten, ist grundfalsch.“
In eigener Sache: Schriftliche Stellungnahme des „Publikumsrats“ zum NDR-Staatsvertrag
Die Fraktion PIRATEN im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat u.a. die Initiative für einen Publikumsrat vorgeschlagen, um eine schriftliche Stellungnahme zur Neufassung des NDR-Staatsvertrags abzugeben. Grundlage für die schriftliche Anhörung ist ein Antrag der PIRATEN (drucksache-18-1834) sowie ein Antrag der Regierungskoalition aus SPD, GRÜNEN und Südschleswigscher Wählerverband SSW (drucksache-18-1761).
Die Initiative für einen Publikumsrat ist der Aufforderung gerne gefolgt. Unsere Stellungnahme kann hier eingesehen und heruntergeladen werden: Anhörung_NDR Staatsvertrag_Publikumsrat_Horz final
Nachtrag: zur Berichterstattung über die Angriffe auf Charlie Hebdo
Der amerikanische Sprachwissenschaftler und Intellektuelle Noam Chomsky fragt, warum eigentlich die Terrorattacken in Paris als singulärer Akt radikaler Islamisten betrachtet werden, ohne sie in ein größeres Bild zu setzen. Den Drohnenkrieg des Westens im Nahen Osten, Pakistan und Afghanistan sieht nicht nur er als eine Ursache der Radikalisierung vieler Muslime in diesen Ländern. Eine öffentliche Debatte darüber findet jedoch kaum in ausreichendem Maße statt. Vielmehr werden die Gründe für den Terror vor allem im Islam selbst gesucht. Auch die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht erkennt eine unterschiedliche Gewichtung des Terrors radikaler Islamisten auf der einen und westlicher Staaten in deren Hauptherkunfstländern auf der anderen Seite in der Öffentlichkeit. Auch der (allzu?) schnellen Schlussfolgerung, es handele sich um einen Anschlag islamischer Terroristen sind die Medien weitgehend gefolgt.
Statt eine Grundversorgung der Bürger sicher zu stellen, erfährt das Publikum der öffentlich-rechtlichen Medien zu wenig über diese Debatten, die Denkanstöße liefern und dadurch zur freien Meinungsbildung beitragen können.
Charlie Hebdo: Öffentlich-Rechtliche Inszenierung des Marschs der Politiker
Auch, wenn die Berichterstattung zu den grausamen Anschlägen auf die Redaktion der Pariser Zeitschrift „Charlie Hebdo“ abebbt, ändert es nichts daran, dass sich die öffentlich-rechtliche Berichterstattung – mal wieder – nicht mit Ruhm bekleckert hat.
Wie Ines Pohl in der taz berichtete, erweckte die Bebilderung der Berichte zum Pariser Gedenkmarsch der Millionen auch in ARD und ZDF den Eindruck, als hätten die Politiker die Spitze der Kundgebung angeführt.
„Dass die 44 Staatsoberhäupter nicht, wie berichtet und durch entsprechende Filmschnitte suggeriert, mitmarschierten, sondern gänzlich abgeschirmt von den restlichen Demonstranten für die Fotografen posierten. Angeblich von geladenen Demonstrierenden unterstützt, die so den Eindruck vermitteln sollten, die politischen Verantwortungsträger seien Teil des Volkes.“
Stefan Niggemeier postet auf seinem Blog Bilder von Augenzeugen, die dies belegen.
Dass Politiker aus Sicherheitsgründen kaum wie normale Bürger mitmarschieren können, erscheint nachvollziehbar. Kritische Journalisten wie Pohl und Niggemeier kritisieren jedoch, dass die gewählten Bildausschnitte bei einem inszenierten Fototermin entstanden sind, der weit hinter der tatsächlichen Kundgebung stattfand, in der Berichterstattung darauf jedoch nicht hingewiesen wurde. Den Medienschaffenden sei vorzuwerfen, „dass ihnen die Wirkung der Bilder, also die Wirkmächtigkeit des Symbols, wichtiger war als die Dokumentation der Realität“, so Ines Pohl. Schade nur, dass die taz-Redakteurin das Unwort „Lügenpresse“ bemüht, um ihre wichtige Kritik an der Bildinszenierung vorzubringen.
Der Chef der ARD-Tagesschau, Kai Gniffke, reagierte in seinem Blogeintrag gewohnt Dialogresistent und bezeichnete die Vorwürfe der Inszenierung als „kompletten Unfug“. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Vehemenz hier reagiert wird. Die Inszenierung der Bilder hätte für den Fernsehzuschauer eingeordnet werden müssen, um diesem einen realistischen Eindruck des Geschehens vor Ort zu ermöglichen.