Abschaffung der Recherchebarrieren in öffentlich-rechtlichen Archiven – JETZT!
Studenten und Wissenschaftler stoßen bei ihren Forschungsprojekten in den öffentlich-rechtlichen Archiven von ARD (NDR, WDR, SR, HR, BR, MDR, RBB, SWR, RB), ZDF und Deutschlandradio vor Ort regelmäßig auf Recherchebarrieren. Erst im April 2014 einigten sich die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Anstalten und das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) erstmals über einen einheitlichen „Zugang zu Archiven für Wissenschaftler……“. Diese Regelung entpuppt sich jedoch zunehmend als „einheitliche Misshandlung der Wissenschaftsfreiheit„.
Es geht um bereits veröffentlichte Materialien, die in den Rundfunkanstalten archiviert sind und die Wissenschaftler nicht oder nur sehr begrenzt zu Forschungszwecken nutzen dürfen. Jede der neun ARD-Anstalten, das ZDF sowie Deutschlandradio sind verpflichtet ihre audio-visuellen Produkte aufzubewahren, verfügen also über audio-visuelle Archive. Sie sind außerdem Abonnenten der Tagespresse (sowohl in Papierform als auch digital).
Wie allgemein bekannt ist, werden die öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie ihre Archive maßgeblich durch Rundfunkbeiträge der BürgerInnen finanziert.
Allerdings sind Studierende und Wissenschaftler seit je her mit Recherchebarrieren konfrontiert, woran die neue Regelung nichts geändert hat. Darin heisst es u.a., dass erst ab Doktorandenlevel recherchiert werden darf. Will ein/e WissenschaftlerIn in den Archiven forschen, so ist zunächst ein Gespräch (mit wem eigentlich?) vorgesehen bei dem u.a. geklärt werden soll, „ob das Thema ausreichend spezifiziert ist, ob geeignetes Archivgut im Archiv der Rundfunkanstalt überhaupt vorliegt, ob die Voraussetzungen für eine Einsichtnahme gegeben sind oder geschaffen werden können und ob genügend Kapazitäten für die Recherche und die weitere Begleitung des Vorgangs vorhanden sind.“
Die Initiative für einen Publikumsrat betrachtet es als grobe Kompetenzüberschreitung, dass Rundfunkanstalten nun darüber befinden, ob ein Thema ausreichend spezifiziert ist. Normalerweise ist das die Aufgabe des/der wissenschaftlichen BetreuerIn des Doktoranden. Ob geeignetes Archivgut vorliegt, kann ein Wissenschaftler/eine Wissenschaftlerin dann entscheiden, wenn er/sie vor Ort vollumfängliche Einsicht in das vorhandene Material genommen hat. Wenn die Archivmitarbeiter den Bestand vorselektieren und eine Gesamtschau nicht möglich ist, kommt das einer Vorzensur gleich. Laut Art. 5 GG, Abs. (3) gilt jedoch die Wissenschaftsfreiheit: „ Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
Die Prüfung der Rundfunkanstalt, „ob die Voraussetzungen für eine Einsichtnahme“ gegeben ist, öffnet der Willkür eines Zuständigen (wer eigentlich genau?) Tür und Tor.
Diese online publizierte Regelung muss umgehend geändert werden. Außerdem sollte sie in gedruckter Form veröffentlicht werden, damit sie von den Anstalten nicht beliebig umgeändert werden kann. Insgesamt nehmen sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten soviele Spielräume heraus, dass sich in der Realität immer ein Grund finden lässt, ein Recherchegesuchen abzulehen. Zudem kann nur „in Ausnahmefällen eine Ansichtskopie erstellt werden.“ Falls tatsächlich einmal einzelne Kopien audio-visuellen Materials zu Forschungszwecken angefertigt werden dürfen, sind diese für Wissenschaftler kostenpflichtig.
Statt einer intransparenten Regelung müssen die öffentlich-rechtlichen Archive für Studierende und Wissenschaftler offen sein. Die Rundfunkanstalten sollten Stipendien für Studierende und Nachwuchs-Wissenschaftler vergeben. Schließlich werden die Archive durch Rundfunkbeiträge der Bürger finanziert – gerade sie müssten also im Sinne der Transparenz die Wissenschaftsfreiheit in besonderem Maße achten.
Deshalb rufen wir alle WissenschaftlerInnen, Studierende und Doktoranden auf, ihre praktischen Erfahrungen bei der Recherche in öffentlich-rechtlichen Archiven mit uns zu teilen, die wir gerne sammeln, auswerten und anonymisiert publizieren möchten.