Antrittsvorlesung Claus Kleber (ZDF)

Sabine Schiffer analysiert in den Nachdenkseiten die Antrittsvorlesung von Claus Kleber, Journalist und Moderator des heute-journal (ZDF), welche wir im Folgenden ungekürzt widergeben.

Anlass der Antrittsvorlesung war die Berufung von Kleber zum  Honorarprofessor am Institut für Medienwissenschaft der Eberhard-Karls Universität Tübingen . Interessant ist, dass Kleber zu den Höchstverdienern im Medienbereich gehört: Laut Süddeutscher Zeitung kommt der ZDF-Journalist auf ein Jahreseinkommen von 480.000 Euro – maßgeblich mitfinanziert aus Rundfunkbeiträgen! Damit kostet er den Bürger fast doppelt soviel wie die Bundeskanzlerin.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist seine Mitgliedschaft in der Atlantikbrücke, einem neoliberalen, supranationalen Thinktank, der u.a. auch der Zeit-Journalist Josef Joffe angehört, was die Frage nach der Unabbhängigkeit und Objektivität  der Qualitätsmedien aufwirft.

Der folgende Beitrag von Sabine Schiffer  in den Nachdenkseiten gibt tiefe Einblicke in die Denkweise Klebers und in den öffentlich-rechtlichen Journalismus insgesamt.

Claus Kleber enthüllt… sich selbst

Verantwortlich:

Am 2. Juni 2015 hielt der heute-journal Moderator Dr. Claus Kleber seine Antrittsvorlesung als Honorarprofessor an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Auf die Frage im Titel der Vorlesung „Rettet den Journalismus! Wozu?“ blieb Kleber eine klare Antwort schuldig, ebenso auf die Frage des Wie. Während er mit einer zum großen Teil altertümlich anmutenden Power-Point-Präsentation, die vor allem Zwischentitel einblendete, einige Knackpunkte moderner Medientechnik problematisierte und sich damit seinem jungen Studierendenpublikum als Ansprechpartner anbot, ließ er Aussagen zu seinem eigentlichen Kerngeschäft – journalistische Recherche und Aufbereitung fürs Fernsehen – vermissen. Dabei ist es genau seine Praxiserfahrung im journalistischen Handwerk, wovon sich die Universität am meisten verspricht. Vermutlich wird auch sein Zugriff auf die Archive des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geschätzt, denn diese sind dem normalsterblichen Wissenschaftler nicht ohne Weiteres zugänglich. Auf welch dünnem Eis sich „Professor“ Kleber allerdings sowohl in Sachen Recherche als auch Neue Medien bewegt, wird an einigen Stellen in der Vorlesung deutlich, auf die im Folgenden besonders eingegangen wird. Von Sabine Schiffer.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Claus Kleber enthüllt… sich selbst [ 14:39 ] Player verbergen | Play in Popup | Download

Der ehemalige Radiojournalist Claus Kleber, der zum Einstieg Einblicke ins Arbeiten am früheren Newsticker gibt und auf die damit verbundene und verflossene „Medienmacht“ hinweist, ist inzwischen der Vertreter des „Erfolgsprodukts heute journal“. An mehreren Stellen in seiner Antrittsvorlesung redet er den Medien als „Markt“ das Wort. Das Publikum nennt er in dieser Logik „Kunden“. Das ZDF wäre demnach Klebers Kunde, denn er ist dort nicht angestellt, sondern firmiert als freier Mitarbeiter. Konsequent stellt das Gesicht des heute journals nicht infrage, dass Information – ein genuines Interesse in einer Demokratie – als Ware gehandelt wird und Konkurrenz unter den Anbietern dieser Dienstleistung ein Teil des Geschäfts zu sein hat, an dem sich auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) mit dem ungnädigen Quotenblick beteiligt. Die Themen „Grundversorgung“, „Medien als öffentliches Gut“ und „Rundfunkstaatsverträge“ kommen in dieser Wahrnehmung des Medien-Geschäfts gar nicht erst vor. Das Ideal einer Befähigung aller Bürger zur Meinungsbildung durch umfassende Berichterstattung steht also nicht im Zentrum von Klebers Darstellung.

Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR)

Anhand von Statistiken zur Charlie Hebdo-Berichterstattung Anfang des Jahres 2015 zeigt Kleber auf, dass bei allem „Erfolg“ des ÖRR in Sachen Einschaltquote die Altersstruktur des Publikums auf ein aussterbendes Publikum hindeutet. Das gewünschte Publikum tummle sich hingegen in den sogenannten Sozialen Medien und sehe nicht unbedingt „eine anständige Nachrichtensendung“. Dabei sagt die Nutzung dieser Netzwerke zunächst noch wenig über die betrachteten Inhalt aus – über Twitter, Facebook und andere Dienste werden natürlich auch klassische Formate verbreitet, Magazinsendungen etwa und das teilweise sogar vor deren Ausstrahlungszeitpunkt im Abendprogramm des Fernsehens. Es handelt sich also nicht lediglich um eine Marktfrage – und die Marktfrage dürfte zudem auf keinen Fall jene nach Qualität und Vertrauen verdrängen, wo etablierte und damit lange bekannte Medien immer noch gewisse Vorzüge in deren Einschätzbarkeit vor neu zu bewertenden neuen Medien haben. Fehlende Selbstkritik und journalistische Fehlleistungen – etwa in der Ukraineberichterstattung – spielen in Klebers Vorlesung jedoch kaum eine Rolle, stattdessen geht es um die Filterfunktion von Google, Facebook & Co.

Zunächst trifft Kleber eine richtige Feststellung, dass nämlich allein der Weg ins Internet für die bisherigen „Marktführer“ im Analogen kein Heilsbringer ist. Die Gesetzmäßigkeiten des Netzes müssen verstanden werden. Und Medienkonvergenz ist eigentlich ein Thema für ein ganzes Semester.

Während man in der Tat – und das tut Kleber im Folgenden ausführlich – auf die Folgen von Algorithmen und der sogenannten Filter Bubble bei Angeboten im Internet aufmerksam machen muss, sind dennoch Internetriesen wie die Suchmaschine Google und deren spezifische Funktionsweisen nicht für den Niedergang des ÖRR verantwortlich zu machen, und zwar trotz der durchaus stattfindenden Gleichordnung bzw. Nachordnung bestimmter Internetangebote durch Suchmaschinen, so dass Beiträge eher singulär und nicht im Verbund von Dossiers und zusammengefasstem Wissen erscheinen. Der Aspekt der Bevorzugung von Blogs in Suchmaschinen-Rankings wird von Kleber garnicht erwähnt.

Dass die Angebote der klassischen Medien für Kontextualisierung und Hintergrundeinbettung stehen würden, ist jedoch eine idealtypische Naivität, die etwa die Kritik am Ausblenden von Zusammenhängen durch Nachrichtenformate eines Journalisten wie Walter van Rossum sträflich ignoriert. Nun stimmt es durchaus, dass man als ÖRR im Internet einiges kompensieren kann, indem man mehrere Beiträge zum Thema zusammengruppiert anbietet. Aber ausgerechnet das Beispiel des Fußball-Funktionärs Blatter und die Verdienste der FIFA als Beleg anzuführen, um Pluralität und Differenziertheit zu belegen, klingt angesichts heiß diskutierter Themen um NSU und NSA, den Ukrainekonflikt, TTIP und die Griechenlandberichterstattung wirklich schönfärberisch.

Für den Druck auf den ÖRR im Internet gibt es jedoch noch einen sehr wichtigen Faktor, den man bei der Problematisierung der Thematik nicht außen vor lassen darf: die EU-Gesetzgebung, die wiederum Medien als Markt definiert und ausschließlich im Sinne einer „Marktgerechtigkeit“ argumentiert. Demnach müssen die von den Beitragszahlenden finanzierten Inhalte des ÖRR wieder von den Websites gelöscht werden, da selbige sonst einen unzulässigen „Wettbewerbsvorteil“ gegenüber den privaten Anbietern hätten.

Überschätzung statt Recherche: Social Media

Social Media darf auch zum Recherchieren benutzt werden und nicht nur für den Vertrieb eigener Botschaften. Claus Kleber erwähnt das sogar, erweckt aber den Eindruck, als habe er eine gewisse Ehrfurcht, ja sogar Furcht, vor den sogenannten Sozialen Medien. Angst ist jedoch niemals ein guter Ratgeber. Stattdessen wäre es angebracht, dieselben ebenso zu nutzen wie die Etablierten und dabei Recherchen und Quellen auf Herz und Nieren zu prüfen. Dann würde man etwa hinterfragen, ob es wirklich ein Nachbar von Osama bin Laden in Pakistan war, der die Twitter-Botschaften zu seiner angeblichen Tötung in Abbottabad verbreitete – angesichts der Tatsache, dass jegliche Beweisfotos von der Aktion fehlen und pakistanische Medien bereits Ende 2001 von bin Ladens Tod berichteten. Und auch das Thema Völkerrecht klammert der unkritische Nachrichtensprecher in diesem Kontext vollkommen aus.

Bei kritischer Quellenprüfung wäre ihm auch die peinliche Lobhudelei auf den Internetdienst Bellingcat als „großartige Leistung“ nicht passiert. Diese Plattform zeichnet verantwortlich für die Anfang Juni 2015 verbreitete Botschaft, dass Russland Satellitenbilder zum MH17-Absturz gefälscht habe. Diese Nachricht, die es in fast alle großen Medien schaffte und heute noch auf der Website der tagesschau abrufbar ist, musste jedoch schon wenig später wieder korrigiert werden, weil die Unseriosität der Plattforum aufflog. Dies wurde zwar erst kurz nach der Antrittsvorlesung in den großen Medien berichtet, allerdings war den aufmerksamen Nutzern von Twitter am Tag vor dieser Vorlesung bereits klar, dass an der Sache etwas faul sein musste. Denn der Verantwortliche für den von Bellingcat genutzten online-Erkennungsdienst Fotoforensics, Dr. Neal Krawetz (@hackerfactor), hatte sich bereits am 1. Juli auf Twitter von dem angeblichen Untersuchungsergebnis der selbsternannten Investigativrechercheure distanziert – nachdem er von einem Nutzer nach der Validität der angeblichen Enthüllung gefragt worden war. Und man hätte auch auf den Blog von Gabriele Wolff stoßen können, die bereits vor Wochen ein Dossier zu den merkwürdigen Untersuchungsmethoden von Bellingcat angelegt hatte. Siehe dazu auch unseren Newsletter vom 2. Juni 2015.

Von Feinden, Freunden und Fehleinschätzungen

Dass die russische Regierung wiederholt NATO und USA mit Blick auf AWACS-Überwachungsaufnahmen aufgefordert hat, doch die eigenen Satellitenbilder vom Absturzort der MH17 zu veröffentlichen sowie die Funkmitschnitte, dürfte Herrn Kleber aber eigentlich nicht entgangen sein – zumindest wäre diese Information auch analog erhältlich gewesen. Sie hätte grundsätzlich zu einem vorsichtigeren Umgang mit einem solch vermeintlichen Internetwunder führen müssen.

In der Logik des Ignorierens bestimmter Ressourcen im Internet auf der einen und der Überschätzung der dort gefundenen Hinweise, die ins eigene Erwartungsbild passen, auf der anderen Seite lobt Kleber dann noch die neuen Medien als diejenigen, die die Revolution auf dem Tahrir-Platz möglich gemacht hätten – ja, die revolutionäre Kraft wäre gar aus dem Netz gekommen und würde auch nur wieder aus dem Netz kommen können. Auch hier fehlt offensichtlich die konterkarierende Recherche, da nicht wenige Wissenschaftler immer wieder betonen, dass die sogenannten Revolutionen eben nicht mit der Nutzung neuer Medien zu erklären sind – und dass unter anderem das Zusammenspiel neuer und etablierter Medien mit anderen Faktoren für den großen Auftrieb in Ägypten verantwortlich war. Damit sind aber dann schon gar nicht mehr die Entwicklungen in Tunesien, Libyen oder Syrien zu erklären. Drei Fachleute seien hier exemplarisch genannt und auf ihre Expertisen zum Thema verwiesen: Prof. Carola Richter, Dr. Atef Botros und Ivesa Lübben.

Klebers Fehleinschätzung in Sachen Massenmedien unter dem Stichwort „Gutenberg-Parenthese“ gegen Ende seines Vortrags, worin er den Schritt über die „Dorfgrenze“ hinaus sieht, der Nachdenken und Meinungsbildung erst möglich gemacht hätte, ignoriert historische Tatsachen. In dieser Logik hätte es weder die Entwicklung der griechischen Demokratie, die Hochkultur der Antike, die großen Denker im Nahen Osten, noch andere kulturelle Meisterleistungen in der Geschichte der Menschheit geben dürfen – die Kommunikationswege sind unergründlich und die Erkenntnismöglichkeiten innerhalb der jeweils gegebenen Rahmen offensichtlich auch.

Auch im Netz gibt’s nichts umsonst, man bezahlt mit seinen Daten

Diese Binsenweisheit, die sich inzwischen auch außerhalb des Chaos Computer Club und diverser Net-Communities herumgesprochen haben dürfte, füllt eine weitere Passage des Kleber-Vortrags, die man vielleicht lieber mit der Unterüberschrift „Ich kenne Prominente“ versehen möchte.

Natürlich ist es ansprechend, wenn ein prominenter Professor bei der Geburtsstunde von Amazon persönlich anwesend war und deshalb das Geschäftsmodell à la „Sag mir, was Du liest, und ich sage Dir, was Du sonst noch kaufen wirst“ sofort durchschaut hat. Manch gewählte Metapher zur Verdeutlichung des Denkens dieser Internet-Innovatoren mag jedoch mehr über den, der sie äußert, sagen, als über den Geschäftssinn von Bezos, Zuckerberg oder Eric Schmidt. So meint Kleber etwa: „Präzisionsgeschosse bringen nun mal mehr als Streuung“ oder „Blickfeldverengung ist besser als Horizonterweiterung“ – aus ökonomischer Sicht, zielgerichtet im Sinne der Werbewirtschaft. Eine Problematisierung von Big Data im Sinne etwa Zygmunt Baumans bleibt Kleber seinen Studierenden hingegen schuldig und man darf wohl von Glück reden, dass der ÖRR, der aufgrund seines Haushaltsüberschusses ja nicht auf jeden Cent gucken muss, nicht geschäftstüchtig noch mehr „Horizonteinschränkung“ und Bellizismus als bisher befördern soll. Die Kriegsmetaphorik in Klebers gesamter Vorlesungssprache spricht hingegen Bände.

Beim Wording möchte man sich insgesamt mehr Sensibilität von „Professor“ Kleber wünschen. Neben der bereits erwähnten marktgerechten Sprache, die die Unterwerfung des Mediensystems unter Marktgesetze, nicht infrage stellt („Marktplatz der Ideen“), kolportiert auch noch anderer Sprachgebrauch die Sicht der Herrschenden: „Gnadenfrist“, „Feinde“, „Nigger“ (wenn auch in kritischem Kontext), „Finsterlinge“ etc. Macht etwa das ZDF keinen Gebrauch vom EBU Diversity Toolkit [PDF – 134 KB]? Diese Sprache passt jedenfalls nicht zum Selbstbild einer Vierten Gewalt, die wie Kleber meint, den „Mächtigen auf die Finger schaut“ und Sachverhalte in politische Zusammenhänge einordnet. Man sollte beispielsweise vom „sogenannten Islamischen Staat“ sprechen und nicht irgendwelchen Interessierten zuarbeiten, indem man so eine geschickte und suggestive Bezeichnung einfach übernimmt.

Eine Nutzerin unserer Facebook-Seite meinte zum Posting der Antrittsvorlesung, zunächst den Redner wie folgt zitierend: „Auf Dauer könne nur qualitativ hochwertiger und transparenter Journalismus überleben.“ – „Der Mann hält also seine berufliche Grabrede.“

Soweit will ich nicht gehen. Das Nachrichtengucken als Ritual, wie Kleber es mit einem Nachtgebet vergleicht, wird dennoch sicherlich nicht ausreichen, um ein Publikum zu halten oder gar (zurück) zu gewinnen, das sich aufgefordert fühlt, auch selbst mitzudenken. Beim beruflichen Überleben als Professor könnte der Knackpunkt anders gelagert sein, weil die Studierenden kaum Möglichkeiten der Beeinflussung bei der Entscheidung für oder gegen Universitätspersonal haben – und von Anekdoten und Eindrücken aus der Berufspraxis des langjährigen Auslandskorrespondenten dürfte durchaus Interessantes zu erwarten sein. Mit Blick auf die Lehr-Aufgaben am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen ist die Ankündigung Klebers am Schluss seiner Rede auf jeden Fall ermutigend und sympathisch. Er will gemeinsam mit den Studierenden lernen. Hoffen wir, dass er den guten Vorsatz auch umsetzt. Nötig wäre es.

13. Juli 2015 von Christine Horz
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