„Erlanger Erklärung“
Für einen Publikumsrat:
Partizipative Strukturen für eine moderne Gesellschaft!
Erlangen, 24.02.2014
Die Initiative für einen Publikumsrat setzt sich dafür ein, dass Zuschauer/innen und Hörer/innen stärker als bisher in Programm- und Haushaltsfragen der öffentlich-rechtlichen Medien einbezogen werden. Sie hat ihre Arbeit mit der Einführung des neuen Rundfunkbeitrags („Haushaltsabgabe“) Anfang 2013 aufgenommen. Seither ist grundsätzlich jeder Haushalt verpflichtet, die öffentlich-rechtlichen Medien finanziell mitzutragen, so dass prinzipiell alle Bürger zum stakeholder (Anspruchsberechtigte) wurden. Aufgrund der Verpflichtung der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung sicherzustellen, positioniert sich die Initiative für einen Publikumsrat explizit gegen Beitragsverweigerer. Im Vergleich mit rein privat-kommerziellen Medienmodellen können öffentlich-rechtliche Medien Meinungspluralismus und Qualität im Journalismus sichern. Allerdings haben die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland Vertrauen bei ihren Hörer/innen und Zuschauer/innen eingebüßt. Der Einkauf teurer Sportrechte, die Ausdünnung politischer Magazine sowie die mangelnde Transparenz bei wichtigen senderinternen Entwicklungen sind häufig genannte Kritikpunkte. Zudem geraten die Sendeanstalten durch kommerzielle Medien, welche den Rundfunkbeitrag aus rein marktwirtschaftlichen Erwägungen als wettbewerbsverzerrend bezeichnen, zusehends unter Druck. Die Initiator/innen beziehen bereits existierende Expertisen ein und schließen sich deshalb den Empfehlungen der High Level Group on Media Freedom and Pluralism der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 an. Ein Publikumsrat kann als Mittler eine Dialog- und Informationsplattform zwischen Publikum und öffentlich-rechtlichen Medien darstellen. Er soll nicht nur die Erwartungen des Publikums nach größerer Beteiligung in einer Ombudsmann-Funktion erfüllen. Zu seinen Aufgaben sollte auch gehören, mehr Transparenz der Politik der Rundfunksender sowie der bestehenden Gremien einzufordern und zu evaluieren.
Die Rundfunkanstalten könnten von einer nachhaltigen Nähe zum Publikum profitieren und sich neue zukunftsfähige Legitimationsgrundlagen und Funktionen erarbeiten. Verlorengegangenes Vertrauen kann wettgemacht und die Leistungen der öffentlich-rechtlichen Medien in der Demokratie verständlich gemacht werden.
Die Neuordnung des Rundfunkbeitrags kann demnach nur ein Baustein auf dem Weg zu einer Neudefinition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein, zu dem auch die Nutzerpartizipation gehört.
Rundfunkbeitragszahler/innen sind als Haupt-Finanziers der öffentlich-rechtlichen Medien in die Programmgestaltung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk einzubeziehen!
Der Initiative für einen Publikumsrat ist bewusst, dass den Rundfunkanstalten nach dem Gebot der Staatsferne die Autonomie über die Programmgestaltung obliegt. Dennoch sollten im Zuge der Haushaltsabgabe Beitragszahler/innen endlich eine unabhängige Anlaufstelle erhalten, welche ihre Kritik und Anregungen zum Programm in der Funktion eines Medien-Watchdogs kompetent bündelt, auswertet, und diese als Mittlerin zwischen Zuschauer/in und Rundfunkanstalt transparent macht. Dazu zählt auch das Angebot der systematischen Programmbeobachtung, welches diese zu gründenden Publikumsräte gemeinsam mit den Zuschauer/innen und Hörer/innen in regelmäßigen Abständen durchführen.
Mehr Transparenz der Politik und der Gremienarbeit der öffentlich-rechtlichen Medien!
Die Initiative für einen Publikumsrat fordert, dass die Ziele, Richtlinien und Haushaltspläne der Sender flächendeckend veröffentlicht werden. Auch die Rundfunk–, Fernseh– und Verwaltungsräte sollten ihre Arbeit transparenter gestalten. Bislang erfahren Zuschauer/innen und Hörer/innen so gut wie nichts über die Arbeit dieser wichtigsten Beratungs- und Beschlussgremien der Sender. Ebenso wenig wie über die Entsendepraxis der Vertreter/innen in die Gremien, die Höhe ihrer finanziellen Aufwandsentschädigung, über Befugnisse und Aufgaben der Repräsentant/innen, ihre Arbeitszeiten, der Öffentlichkeitsarbeit und über Sitzungsprotokolle. Ein Publikumsrat könnte Mechanismen zur Evaluierung bestehender Gremien erarbeiten.
Für eine Reform der Rundfunk- und Fernsehräte!
Die Zusammensetzung der Rundfunk- und Fernsehräte ist seit Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem 2. Weltkrieg im Wesentlichen gleich geblieben: u.a. Politiker, Kirchen, Bildungsinstitutionen, Gewerkschaften sowie Bauern- und Verbraucherverbände. Seither hat sich die Gesellschaft jedoch stark verändert, so dass diese Gremien die gesellschaftlich relevanten Gruppen von heute nicht mehr hinreichend repräsentieren. Flächendeckend sind weder die Friedensbewegung, Atheisten, Schüler und Studierende, Pro Asyl, Attac, Gehörlosen- oder Blindenverbände oder migrantische Organisationen vertreten. Derzeit ist in nur fünf von zehn öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten je ein Sitz für ein/e „Ausländervertreter/in“ vorgesehen, obwohl etwa 20 % der deutschen Bevölkerung ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird. Für Muslime wird neuerdings in einzelnen Bundesländern ein Sitz vorgehalten, obwohl Muslime die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland repräsentieren.
Inklusivere Hauptprogramme und barrierefreie Zugänge zu Medienangeboten im Netz!
Ein Publikumsrat sollte sich zur Aufgabe machen, die Barrierefreiheit zum Programm und zu allen Medienangeboten, auch im Netz z.B. für ältere, sehbehinderte und/oder gehörlose Menschen einzufordern. Die geleisteten Rundfunkbeiträge, auch von marginalisierten Personenkreisen, machen eine wesentlich breitere und systematischere Reinvestition der Beiträge in ein inklusives Angebot notwendig. Dafür müssten Organisationsstrukturen des jeweiligen Rundfunksenders partizipativer aufgestellt sein, so dass nicht nur die etablierten Interessengruppen berücksichtigt werden. Hier sollte ein Publikumsrat eine unabhängige Monitoring- und Informationsfunktion bieten, welche oben beschriebene Maßnahmen im Interesse des Publikums auf wissenschaftlicher Grundlage begleitet und evaluiert. Dazu gehören auch systematische und verpflichtende Schulungen zur diskriminierungsfreien Berichterstattung für Journalist/innen und Redakteur/innen, ebenso wie anonymisierte Bewerbungsverfahren zur Stärkung der Chancengerechtigkeit im journalistischen Bereich.
Für eine unbegrenzte Verweildauer von Sendungen im Internetangebot der Rundfunkanstalten!
Hinsichtlich der Konvergenz der Medien ist nicht nachvollziehbar, dass die Beitragszahler offenbar nur für das lineare TV-Angebot der öffentlich-rechtlichen Medien bezahlt haben sollen. Die Initiative für einen Publikumsrat befürwortet deshalb die unbegrenzte Vorhaltung digitaler Online-Angebote (sogenannte Telemedien) der öffentlich-rechtlichen Sender im Netz. Es spielt u. E. keine Rolle, über welchen Kanal öffentlich-rechtliche Inhalte übermittelt werden. Schließlich haben die Nutzer/innen dafür Rundfunkbeiträge gezahlt. Hier schließt sich die Initiative für einen Publikumsrat u.a. dem ver.di Positionspapier zur Medienpolitik vom 6.5.2011 an.
Für den Erhalt des audio-visuellen Kulturgutes!
Radio- und Fernsehmaterial ist Teil des audio-visuellen kulturellen Erbes der Bundesrepublik Deutschland. Die Abwicklung der Archive und die Beseitigung alter Sendebänder in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten muss verhindert werden. Überregionale Sender sowie die Regional- und Lokalredaktionen spiegeln in ihrer Berichterstattung Politik und Alltagsleben in den Bundesländern wider. Werden diese Quellen vernichtet, stehen sie zukünftigen Generationen und einer historischen und wissenschaftlichen Aufarbeitung nicht mehr zur Verfügung. Rundfunksendungen müssen demnach vollständig archiviert und mittel- bis langfristig, im Sinne einer audio-visuellen Bibliothek einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden. Hier darf sich die Politik nicht ihrer Verantwortung entziehen.
Die Archive der Rundfunkanstalten müssen für das Publikum und die uneingeschränkte wissenschaftliche Recherche geöffnet werden!
Die Initiative für einen Publikumsrat setzt sich dafür ein, dass Zuschauer/innen und Hörer/innen Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten zu den audio-visuellen Archiven der Sender erhalten. Aus der Sicht der Wissenschaft ist es unhaltbar, dass der Zugang zu den Archiven der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wenn überhaupt, nur punktuell sowie zeitlich und inhaltlich eingeschränkt möglich ist. In Artikel 5, Absatz (3) des Grundgesetzes werden der Wissenschaft besondere Freiheiten zugestanden. Zum Zwecke wissenschaftlicher Forschung muss der gesamte audio-visuelle Bestand ausgewertet werden können, andernfalls wird – wie bislang – eine Fernseh- bzw. Radioinhaltsorschung auch zukünftig in Deutschland nicht möglich sein, schon gar nicht in historischer Perspektive. Dieses Defizit steht jedoch in keinem Verhältnis zur staatspolitischen Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Medien und ihres expliziten Bildungsauftrags.
Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag zur Einrichtung eines Publikumsrats nutzen!
Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) hat errechnet, dass der neue Rundfunkbeitrag zu Mehreinnahmen von 73 Cent pro Haushalt geführt hat. Korrekturen sind demnach notwendig. Wir halten es für geboten, einen Teil der Mehreinnahmen in die stärkere Einbeziehung des Publikums zu investieren, etwa für die Einrichtung von Publikumsräten und Wahlverfahren. Hiervon können die Zuschauer/innen und Hörer/innen stärker profitieren, als von einer Senkung der Beiträge um ca. 0,4% (73 Cent) oder der Entlastung von Kommunen, Kirchen und Unternehmen.
Förderung der medienpolitischen Einflussmöglichkeiten des Publikums – konkrete Vorschläge zur Etablierung eines Publikumsrats
Die Initiative für einen Publikumsrat greift bereits bestehende wissenschaftliche Expertisen zur Publikumsbeteiligung und konkrete Vorschläge zur Umsetzung auf und schließt sich der Forderung an, dass Zuschauer/innen und Hörer/innen zukünftig nicht nur in Programmfragen, sondern auch über die Gestaltung der Programmpolitik des Senders mitbestimmen sollten. Konkret könnten die Sendeanstalten selbst eine Publikumsvertretung etablieren, wobei ein Problem der Abhängigkeit besteht. Denkbar wäre ein gewähltes Gremium, das aufgrund begrenzter Amtszeiten und Zugangsoffenheit eine möglichst große Bandbreite an Zuschauer/innen und Hörer/innen berücksichtigt, flankiert von einem kleinen Kern an Experten. Auch eine Beiordnung dieses auf Zeit gewählten Publikumsrats zu den bereits bestehenden Gremien wäre zu erwägen. Die genaue Ausgestaltung von Publikumsräten (in den Bundesländern bzw. in Ergänzung der Rundfunkräte von ARD und Deutschlandradio sowie dem ZDF-Fernsehrat) sollte zeitnah in einer breiten öffentlichen Debatte diskutiert werden, die auch und gerade von den Medien getragen werden kann.
Ethische Richtlinie eines Publikumsrats
Die Initiative für einen Publikumsrat schlägt eine Struktur vor, die nicht die individuellen Interessen von Einzelnen oder Gruppen begünstigt, sondern eine nachhaltige und dem Publikum und dem Gemeinwohl verpflichtete Arbeit sichert. Ein, wie auch immer gearteter, Publikumsrat muss sich verpflichten, Menschenrechtsstandards einzuhalten, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit keinesfalls zu dulden, verfassungskonform zu agieren und eine diskriminierungsfreie Arbeit und Mitarbeit auf der Grundlage des Grundgesetzes zu gewährleisten. Desweiteren sollte ein zu gründender Publikumsrat regelmäßig von unabhängigen Instituten evaluiert und die Ergebnisse veröffentlicht werden.
Unterzeichner:
Dr. Christine Horz, Initiative Publikumsrat, www.publikumsrat.de
Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung gUG
Dr. Andreas Richter, 1. Vorsitzender Förderkreis Institut für Medienverantwortung e.V.
Dieser Text wurde verfasst anlässlich der ersten öffentlichen Diskussion zum Thema, veranstaltet von der Initiative Publikumsrat, dem Institut für Medienverantwortung, sowie dem Förderkreis des IMV in Erlangen am 24.02.2014 im Saal der IG-Metall. Es diskutierten auf dem Podium Dr. Christine Horz, Walter Oberst M.A., Koordinator des medienpolitischen Arbeitskreises des Fachbereichs Medien ver.di Bayern, und Horst Arnold, Jurist und MdL / SPD, Moderation: Dr. Sabine Schiffer (IMV).
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