#Jugendangebot: Stellungnahme des Publikumsrats

Stellungnahme des Vereins zur Etablierung von Publikumsräten e.V. (i.Gr.) zum Konzept eines Jugendangebots von ARD und ZDF (Anlage 2) sowie zum Entwurf eines neuen §11g zum Rundfunkstaatsvertrag und der zugehörigen Anlage 3, (Negativliste)

1. Das Konzept eines gemeinsamen Jugendangebots von ARD und ZDF

Die Initiative für Publikumsräte begrüßt ausdrücklich, dass ARD und ZDF ein Konzept vorgelegt haben, um das jugendliche Publikum mit einem eigenen Programm anzusprechen und dadurch einen „besonderen Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags nach § 11 leisten“, wie es im Entwurf heißt.

Auch halten wir es für grundsätzlich der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen angemessen, das Angebot ausschließlich Online auszuspielen.

Allerdings sieht die Initiative für Publikumsräte e.V. es kritisch, dass das Jugendangebot ein reines Content-Netzwerk werden soll. Wie in Anlage 2 unter Punkt 2.2.2  beschrieben bedeutet das, dass es keine „klassische Startseite wie bei tagesschau.de oder heute.de“ geben soll. Stattdessen steht „die Verteilung und zugleich Vernetzung unterschiedlicher Inhalte auf relevanten Drittplattformen wie – Stand heute – Youtube, Facebook & Co“ im Vordergrund.

 Auch wenn beteuert wird, das Angebot sei frei von kommerziellen Interessen, so werden doch mit der Zentralität der Netzwerke wie Facebook, Youtube etc. für das Jugendangebot enge Geschäftsbeziehungen mit diesen kommerziellen Netzwerken eingegangen. In Anlage 2, Punkt 2.2.1. heißt es: „Das Angebot verfolgt nicht den Zweck, Nutzerinnen und Nutzer zu Kunden zu machen oder über die Sammlung von Daten Persönlichkeitsprofile zu erstellen, die zielgerichtete Werbung erlauben.“

Hier stellt sich jedoch die Frage, wie ARD und ZDF es verhindern wollen, dass die Daten der NutzerInnen des Jugendangebots auf Facebook und Co. erhoben werden, gehört dies doch zum genuinen Geschäftsmodell dieser Netzwerke. Zudem unterstehen diese Netzwerke der US-Amerikanischen Gerichtsbarkeit. Im Falle juristischer Auseinandersetzungen kann dies zum Problem werden.

Die aktuellen Strategien, beispielsweise bei „Instant Articles“- von Facebook zeigen mögliche Entwicklungen auf. Dabei greifen die NutzerInnen direkt vom jeweiligen Netzwerk auf die Medieninhalte zu, ohne den „Umweg“ über den Senderlink zu nehmen. NutzerInnen müssen also bei Facebook etc. registriert sein, um auf das Jugendangebot zugreifen zu können. Es handelt sich somit um eine Kommerzialisierung öffentlich-rechtlicher Inhalte und der Meinungsfreiheit durch die Hintertür. Je nach Zugriff kann zudem gezielt Werbung platziert werden. Außerdem können Facebook und Co. die Algorithmen eigenständig ändern. Eine Kontrolle darüber und was Facebook mit den anfallenden Daten durch die Nutzer macht gibt es nicht. Die Nutzung der Drittplattformen bei gleichzeitiger „kritischer“ Berichterstattung über sie (Anlage 2, 3.) erscheint uns auf keinen Fall ausreichend, um den angesprochenen Probleme zu begegnen.

Wir fordern deshalb, die Angebote des Jugendkanals unbedingt auch über eigene, nicht-kommerzielle und frei zugängliche Plattformen auszuspielen. Es kann nicht sein, dass Beitragszahlende zwingend bei Facebook, Youtube etc. registriert sein müssen, um öffentlich-rechtliche Inhalte abrufen zu können, die sie mitfinanziert haben. NutzerInnen sollten die Wahlmöglichkeit haben, ob sie das Angebot über kommerzielle oder nicht-kommerzielle Auspielwege nutzen möchten.

2. Inhalte

In Anlage 2, Punkt 2.2.1. heißt es: „Das Angebot definiert sich über seine Inhalte. Diese leiten sich aus der Lebenswelt junger Menschen ab…“

Diese abstrakte Umschreibung wird präzisiert: „Die reine Abbildung von Ereignissen, das klassische „Berichten über“, ist für die Zielgruppe nicht zeitgemäß.“ (S.6). Inhalte sollen emotional, satirisch oder spielerisch transportiert werden.

Die Initiative für Publikumsräte kann dieser Argumentation nur zum Teil folgen. Politische Berichterstattung erfordert auch die ernsthafte und vertiefende Auseinandersetzung mit Nachrichtenthemen. Gerade öffentlich-rechtliche Sender sind verpflichtet, die Meinungsbildung zu fördern, d.h. möglichst objektiv (und nicht unbedingt emotionalisiert oder spielerisch) vom Geschehen zu berichten. Zudem sollten auch kritische Berichte und kontrovers diskutierte Themen angesprochen werden, um der Maßgabe der demokratischen Meinungsbildung gerecht zu werden. Davon ist im Entwurf jedoch nicht die Rede.

3. Verweildauer

Die Verweildauer soll der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen angepasst werden. Dies interpretieren wir dergestalt, dass die Inhalte zeitlich unbegrenzt zur Verfügung stehen, was die Initiative für Publikumsräte begrüßt. Die derzeitige Begrenzung auf sieben Tage, vor allem für die Angebote von ARD und ZDF die mit Rundfunkbeiträgen finanziert wurden, sollte ebenfalls beendet werden. Zudem sollte dafür gesorgt werden, dass breitflächig Creative Commons Lizenzen erworben werden, so dass die Inhalte auch geteilt werden können.

4. Zielgruppe

Die Zielgruppe der 14-29 Jährigen wird vor allem als digital-affin beschrieben.

Völlig außer Acht gelassen wird die Sozialstruktur der Jugendlichen, die vielfach von Migrationshintergründen geprägt ist. Diese soziale und kulturelle Vielfalt sollte sich ebenfalls deutlich im Angebot und dem Mitarbeiterstamm niederschlagen. Von den insgesamt 9,5 Millionen Jugendlichen in Deutschland (15-25 Jahre) haben etwa ein Drittel einen Migrationshintergrund (http://mediendienst-integration.de/integration/bildung.html).

Bei Kindern unter 5 Jahren erhöht sich die Zahl auf bis zu 50%, in westdeutschen Städten, teilweise sogar auf 75% (Frankfurt am Main). http://mediendienst-integration.de/integration/bildung.html

Das Jugendangebot von ARD und ZDF muss den fortschreitenden gesellschaftlichen Wandel sowie die Lebenswirklichkeit auch dieser Jugendlichen widerspiegeln, denn der Funktionsauftrag gilt auch für Telemedienangebote. Dass sich die Lebenswirklichkeit von jugendlichen MigrantInnen von jenen der Mehrheitsbevölkerung teils stark unterscheidet ist unbestritten. Die konstatierte Individualisierung findet dort weniger statt, die Familie spielt eine wesentlich stärkere Rolle bei der Sozialisation. Jugendliche MigrantInnen leiden häufiger unter Ausgrenzung und Diskriminierung, auch hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten zu Bildungsangeboten und Arbeitsplätzen.

http://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/21_2008_1/roth_terhart.pdf.

Für türkeistämmige Jugendliche nimmt zudem die Religion (mehrheitlich Islam) eine bedeutende identitätsstiftende Funktion ein: http://www.kas.de/wf/doc/kas_21254-544-1-30.pdf?101207102701. (S. 21)

Diese Aspekte und weitere Aspekte müssen sich einerseits im Programm widerspiegeln, um das friedliche Miteinander zu fördern, und um die bestehende Diskrimminierung nicht zu reproduzieren. Andererseits sollten auch MitarbeiterInnen vor und hinter der Kamera des Jugendangebots den Pluralismus der Gesellschaft wirklichkeitsnah abbilden. Nach heutigem Stand sollten mindestens 50% der Mitarbeitenden Frauen sein und 30% einen Migrationshintergrund haben, wobei letztere entsprechend der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach und nach zu erhöhen wäre.

Zuguterletzt wäre die Publikumsbeteiligung auch auf organisatorischer Ebene wünschenswert. Hier könnten sich ARD und ZDF als Innovationsmotor beweisen und neue Formen der Publikumseinbindung erproben – jenseits der bloßen „zielgruppengerechten Kommunikation“ mit den NutzerInnen der Angebote. Denn eines zeigen alle sogenannten Sozialen Netzwerke sehr deutlich: die Beteiligungserwartung jugendlicher Zuschauer nimmt weiter zu; sie wollen auf allen Kanälen eingebunden sein und das Programm mitgestalten.

 

 

 

31. Juli 2015 von Christine Horz
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